Gemeinweisen abschalten?

Das Berliner Manifest von HABEN UND BRAUCHEN

Es gibt sie doch! Kulturschaffende, die sich nicht in Affirmation und Selbstausbeutung gefallen, sondern den Mund aufmachen: Die seit 2011 in Berlin tätige Aktionsgruppe HABEN UND BRAUCHEN hat ein tolles Manifest verfasst über die Situation von Kulturschaffenden. Hier wird aufgeräumt mit dem immer noch vorhandenen romantisierenden Künstler-Mythos.

BOUTIQUE VRENI TM hat als Appetizer einige Zitate aus dem Manifest zusammengestellt, die garantiert Lust auf das Ganze machen. Unbedingt lesen.


"Unserer Meinung nach brauchen Kulturschaffende heute zuallererst eine Absicherung ihrer Produktionsbedingungen (und nicht notwendigerweise eine neue Kunsthalle)"

"Was in der Kunst Gestalt annimmt, ist somit ein kollektiver gesellschaftlicher Prozess, der alle betrifft. Diese Bedeutung von Kunst leugnet, wer sie in den Bereich des privaten Konsums abdrängt oder als rein wirtschaftliches Spekulationsobjekt behandelt"

"Die Unterwerfung der kulturellen Öffentlichkeit unter den ökonomischen Imperativ bedeutet deren Enteignung!"

"Die Ironie liegt darin, dass die derzeitige Abschaffung des Gemeinswesens unter Berufung auf das Ideal von der künstlerisch "kreativen" Einzelgängerin (die sich schon irgendwie zu organisieren weiß) gerechtfertigt wird. Neoliberales Wunschdenken stellt Kunst und Kultur so dar, als ginge es primär um das Kapital Kreativität."

"Die Umtriebigkeit künstlerischer Produzentinnen lässt sich nicht losgelöst betrachten von der schieren Existenznot, die oft genug deren Lebens- und Arbeitsbedingungen bestimmt: Wer viel macht, tut dies sicher, weil sie es will, aber genauso oft eben auch, weil sie nicht anders kann."

"In bestimmten Bereichen der Wirtschaft mag die Faustregel "activity creates income" gelten. In der Kunst nicht. Umtriebigkeit bedeutet hier nicht zwangsläufig Einkommen, sondern oft einfach Armut, die sich bereitwillig selbst erhält."

"HABEN UND BRAUCHEN sagen: Die Gesellschaft muss Verantwortung für den Erhalt des Gemeinwesens übernehmen. Sie darf sich nicht selbst abschaffen! Erst recht nicht in unserem Namen!"

"Weil Kunst ihren Ort im Herzen des Gemeinwesens hat und die Auseinandersetzung mit grundsätzlichen, gesellschaftlichen Problemen sucht, wird sie umgekehrt oft ungeschützt denjenigen Widersprüchen ausgesetzt, die eine Gesellschaft in sich trägt. Der öffentliche Lobgesang auf Kreativität und Innovation (im Namen der Kunst) als Begleitmusik zur Privatisierung des Gemeinwesens ist dabei nur ein Beispiel."

"Die Tätigkeiten von Kulturschaffenden müssen dabei unfreiwillig Pate stehen für die Glamourisierung des Freiberuflertums in allen Sparten, wo deregulierte Arbeit gestalterische Züge trägt und mit Kommunikation zu tun hat."

"In Bezahlung drückt sich jedoch gesellschaftliche Anerkennung aus. Anerkannt wird in dieser Form derzeit aber vor allem Arbeit, die an ihrer Produktivität – sprich, den hergestellten Produkten – gemessen werden kann. Doch Warenförmigkeit ist nicht notwendigerweise Ziel künstlerischer Arbeit"

"ein großer Anteil der Zeit, die künstlerische Arbeit ausmacht, ist durch andere Tätigkeiten bestimmt: nachdenken, recherchieren, vorbereiten, einüben und auch wieder verwerfen müssen, scheitern, Abstand gewinnen, um wieder klarer sehen, Erfahrungen machen, mit ihnen umgehen, sie reflektieren, sie sich setzen lassen und in mäandernden Prozessen auf sie zurückkommen, oder auch nicht."

"Kulturelle Arbeit ist vergleichbar mit wissenschaftlichen Arbeitsprozessen: sie wird fast immer im Selbstauftrag erbracht und kostet Zeit und Geld."

"Eine Gesellschaft, die daran interessiert ist, dass es in ihr Kunst gibt, steht deshalb in der Verantwortung gegenüber Kunstschaffenden, dafür zu sorgen, dass es Raum und Zeit gibt, in denen Kunst entstehen kann."
"In der Kunst geht es nicht mehr nur darum, ein Artefakt her-zustellen und dann aus-zustellen. Zwar spielen klassische Formate wie Ausstellungen, Aufführungen und Publikation weiterhin keine unwesentliche Rollen. Sie zeigen heute aber häufig auch nur Aus- oder Abschnitte aus Projekten (...)"

"Künstlerische Arbeit versteht sich heute zunehmend auch als Bildungs- und Demokratiearbeit. Das heißt, sie findet nicht nur im Kunstfeld statt, sondern geht in andere gesellschaftliche Bereiche (Bildungsvermittlung, Soziopolitik, Ökologie, Medien, Musik ...)"

"Dabei ist es jedoch nicht Aufgabe der Kunst, den Abbau des Sozialstaats erträglicher zu machen. Wenn sich Künstler etwa in der Stadtteilkulturarbeit engagieren, darf dies nicht als Ausgleich für die Anomien eines sich zurückbildenden Sozialstaats eingeplant werden."

"Das Verhältnis neoliberaler Populisten zur Kunst ist schizophren: Einerseits werden Künstler als "Kreative" gefeiert, andererseits wird die Rolle der Kunst bei der Schaffung des Gemeinwesens (ebenso wie ihre Abhängigkeit von ihm) verleugnet und Künstlerinnen die öffentliche Unterstützung entzogen. Dieser Logik der Verleugnung ist zu widersprechen! Künstlerische Tätigkeiten müssen angemessene gesellschaftliche Anerkennung als Arbeit finden. Anerkennung meint hier: das Recht auf das Einfordern angemessener Bezahlung und Teilhabe an gesellschaftlichen Entsheidungsprozessen."

""Content" – künstlerischer und geistiger Inhalt – wird zunehmend als frei verfügbare Resource behandelt."

Und hier einige konkrete Vorschläge und Forderungen:

"(...) die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit dem kulturellen Leben der Stadt, zu dem sie beitragen, und also freien Eintritt zu Museen, Theatern und Bibliotheken."

"(...) Vorhandensein von bezahlbaren Arbeitsräumen (Ateliers, Werkstätten, Projekträumen)"

"(...) ein gewisses Grundeinkommen, das die Fortführung der künstlerischen Arbeit ermöglicht"

"HABEN UND BRAUCHEN fordern Mindestlöhne für Kulturarbeiter! Stundenlöhne von 4€ sind nicht akzeptabel!"

"Honorare für Künstlerinnen und andere Kulturschaffende müssen endlich als legitimer Posten in Förderanträgen und Abrechnungen"


UND HIER KANN MENSCH SICH DAS GUTE STÜCK ALS GANZES RUNTERLADEN, AUSDRUCKEN UND IN RUHE LESEN :)

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